Digitaler Produktpass - Wie regulatorische Anforderungen zu einer Chance werden
Der Digitale Produktpass (DPP) wird zur Pflicht – und damit zu einer entscheidenden Herausforderung und Chance für Unternehmen. Doch was genau verbirgt sich dahinter? Wie navigieren wir durch die komplexen Anforderungen und nutzen den DPP nicht nur zur Erfüllung rechtlicher Vorgaben, sondern als strategisches Instrument für mehr Transparenz, Nachhaltigkeit und Effizienz? Diese und weitere Fragen standen im Mittelpunkt unseres Product Management Roundtables im September.
Die Wichtigkeit des DPP für Transparenz, Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit vieler Branchen haben wir gemeinsam mit zwei Expert:innen aus Forschung und Industrie beleuchtet: Dr. Ässia Boukhatmi, Tenure-Track-Professorin an der Berner Fachhochschule, und Gregorio Bani, Chief Administration Officer bei SIPRO STAHL SCHWEIZ. Beide brachten ihre einzigartigen Perspektiven ein – die wissenschaftliche Forschung einerseits und konkrete Industrieerfahrungen andererseits.
Die vollständige Aufzeichnung des Webinars ist hier verfügbar: Jetzt Webinar ansehen.
Forschungsperspektive: DPP in der Solarindustrie
Dr. Ässia Boukhatmi blickte auf vier Jahre Forschung zum Digital Product Passport zurück. In mehreren europäischen und nationalen Projekten entwickelte sie Datenbanken und Prototypen, um den Lebenszyklus von Solarmodulen digital abbilden zu können.
Ihre Ergebnisse verdeutlichen, wie gross die Herausforderungen im Datenmanagement noch sind: Viele Informationen liegen heute in Papierform vor, vorhandene Daten sind nicht standardisiert und oft inkonsistent. Genau diese Datenqualität ist jedoch die Grundlage für einen funktionierenden DPP und damit verbunden auch die Schaffung neuer Geschäftsmodelle.
Darüber hinaus machte sie auf ein Nachhaltigkeitsparadoxon aufmerksam: Obwohl Solarmodule als Symbol der Energiewende gelten, stammen rund 90 % der in Europa verbauten Module aus China. Für die Kaufentscheidung spielt Nachhaltigkeit bisher eine untergeordnete Rolle – der Preis dominiert. Der DPP kann hier Transparenz schaffen, Exportverluste eindämmen und die dringend notwendige Unabhängigkeit von Rohstoffimporten fördern. Dabei spielt die Skalierung von Recyling Verfahren ebenfalls eine wichtige Rolle, die durch den DPP ermöglicht werden kann.
Praxisperspektive: DPP in der Stahlindustrie
Auch in der Stahlbranche wird intensiv an Lösungen gearbeitet. Gregorio Bani zeigte, wie SIPRO STAHL SCHWEIZ bereits einen DPP-Prototyp umgesetzt hat. Das Ziel: Datenqualität erhöhen, Transparenz schaffen und die Kreislaufwirtschaft sichtbar machen. Damit gehört SIPRO zu einem Pionier in der Stahlindustrie.
Besonders wichtig ist dies in einer Industrie, die zwar bis zu 98 % recycelbar ist, aber auf historisch gewachsene, uneinheitliche Datensätze zurückgreifen muss. SIPRO setzt daher auf eine klare strategische Ausrichtung entlang dreier Dimensionen: Business Transformation, Technologie und ESG.
Bani betonte, dass der DPP nicht nur regulatorische Anforderungen erfüllt, sondern auch neue Potenziale für Effizienzsteigerungen und Kundenbindung eröffnet.
Kernerkenntnisse aus der Diskussion
Die Diskussion am Roundtable machte deutlich: Es gibt keine One-Size-Fits-All-Lösung. Jede Branche braucht individuelle Ansätze, um die relevanten Daten entlang der Wertschöpfungskette zu erfassen und nutzbar zu machen.
Gleichzeitig kristallisierten sich mehrere Erfolgsfaktoren heraus:
Datenmanagement als Schlüssel: Nur konsistente und standardisierte Daten machen den DPP nutzbar.
Stakeholder-Management: Unterschiedliche Akteure – von Herstellern über Installateure bis hin zu Recyclern – benötigen unterschiedliche Informationen. Klare Rollen- und Zugriffsrechte sind deshalb unverzichtbar.
B2B- und B2C-Perspektiven: Heute liegt der Fokus auf B2B-Anwendungen. In Zukunft bieten jedoch auch B2C-Lösungen enormes Potenzial, etwa durch Apps, die für Kund:innen CO₂-Einsparungen visualisieren oder durch Gamification Nachhaltigkeit fördern.
Umsetzung: klein starten, gross denken
Sowohl Boukhatmi als auch Bani rieten Unternehmen dazu, jetzt mit ersten Schritten zu beginnen. Die Empfehlung lautet: klein anfangen, mit einem Minimum Viable Product (MVP), basierend auf den bereits vorhandenen Daten.
Mit visuellen Prototypen lassen sich Stakeholder früh einbinden, Feedback einholen und Geschäftsmodelle entwickeln. Frühzeitig ein Verständnis der Bedürfnisse der verschiedenen Stakeholder entlang der Wertschöpfungskette zu erhalten, ermöglicht Fokussierung und einen klaren Mehrwert für die einzelnen Stakeholder. Wichtig ist zudem, den DPP nicht isoliert zu betrachten, sondern ihn als Teil einer übergeordneten Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsstrategie zu verankern.
Fazit: Der richtige Zeitpunkt ist jetzt
Der Digital Product Passport wird kommen – spätestens durch die regulatorischen Vorgaben der EU bis 2030. Doch er ist weit mehr als nur ein Compliance-Instrument. Er ist ein Enabler für Innovation, neue Geschäftsmodelle und nachhaltige Wertschöpfung.
Der t’charta Roundtable hat gezeigt: Unternehmen, die heute beginnen, erste Prototypen zu entwickeln und ihre Datenstrukturen zu analysieren, werden morgen nicht nur regulatorisch vorbereitet sein, sondern auch entscheidende Wettbewerbsvorteile sichern und neue Möglichkeiten in der direkten Interaktion mit ihren Kund:innen haben.
Ein herzliches Dankeschön gilt unseren Speaker:innen, den Gästen vor Ort und den zahlreichen Online-Teilnehmenden, die mit ihren Fragen und Impulsen den Abend bereichert haben.