Der Digitale Produktpass – ein Papiertiger
Regulatorische Initiativen insbesondere im Umfeld der Nachhaltigkeit haben das Image vor allem Kosten für die Unternehmen zu generieren. Bei t’charta suchen wir in diesen Initiativen auch immer den kommerziellen Vorteil. So auch im Zusammenhang mit dem Digitalen Produktpass (DPP) in unserem explorativen Artikel, welcher in der neusten Ausgabe des Marketing Review St.Gallen der Universität St.Gallen veröffentlicht wurde.
Link zum vollständigen Artikel von Catherine Walter und Dennis Flad
Der Digitale Produktpass wird als zentrales Instrument zur Förderung von Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft betrachtet. Im Rahmen der europäischen Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte (ESPR) soll der DPP künftig für zahlreiche Produktgruppen verpflichtend eingeführt werden. Er enthält strukturierte Informationen zu Materialzusammensetzung, CO₂-Fußabdruck, Reparierbarkeit, Recyclingfähigkeit und Herkunft eines Produkts und soll diese Daten allen Parteien entlang des gesamten Produktlebenszyklus transparent und wahrheitsgetreu zugänglich machen.
Mehr als eine regulative Auflage
Doch der DPP ist nicht nur eine regulatorische Anforderung an die Hersteller und Importeure, sondern hält auch Potenziale für das glokale Marketing – also für die Verbindung globaler Markenführung mit lokaler Kundenorientierung. Der DPP ist, vereinfacht gesagt, ein QR-Code oder ein NFC-Tag an einem Produkt, welcher der jeweilige Stakeholder entlang der Wertschöpfungskette scannen kann und auf eine Internetseite mit den Informationen zum exakt vorliegenden Produkts kommt. Neben den Botschaften zur Beschaffenheit und Verwendung eines Produkts, können die Firmen so aber auch mit Ihren Kunden in eine direkte Interaktion und einen Dialog treten. Daher hat der DPP neben den prozessualen und produktionstechnischen Komponenten auch eine strategische und eine taktische Ebene im glokalen Marketing.
Strategische Potenziale des DPP im Marketing
Der DPP kann als Instrument genutzt werden, um die Kosten- und Ertragsfunktion des Unternehmens durch verbesserte Wertschöpfungsketten und neue Geschäftsmodelle langfristig zu verändern:
Ressourcennutzung und Unabhängigkeit von Lieferketten
Lokale Wertschöpfungsketten und Kreislaufwirtschaft
Schaffung neuer Geschäftsmodelle
Mit den DPP können global gewonnene Rohstoffe in den lokalen Kreislauf überführt werden. Der DPP fördert Recycling, was Unternehmen der DACH-Region resistenter gegen den geopolitischen Kampf um Ressourcen macht. Der EU geht es beim DPP aber nicht nur darum, unabhängiger von sensiblen Rohstoff- und Lieferketten zu werden. Durch den vereinfachten Datenaustausch zwischen Lieferanten, Herstellern, Käufern und Wiederverwertern sollen bessere lokale Wertschöpfungsketten entstehen, Sekundärmärkte geschaffen und die Kreislaufwirtschaft gefördert werden.
Des Weiteren lassen sich mit den DPP-Daten neue Geschäftsmodelle entwickeln wie das Product-as-a-Service-Modell (PaaS). Statt Produkte zu kaufen, mieten Konsumentinnen und Konsumenten oder Unternehmen ein Produkt vom Hersteller. Das Produkt verbleibt im Eigentum des Herstellers und kann gezielt in eine Zweitnutzung (Second Life) oder Wiederverwertung überführt werden. Ohne das Tracking von produktspezifischen Informationen in einer zentralen Datenbank wie der DPP sind skalierende PaaS-Modelle fasst nicht möglich.
Potenziale im taktischen Marketing und Verkaufsförderung
Neben den strategischen Themen unterstützt der DPP globale oder pan-europäische Marken, taktische Marketing und Verkaufsförderungsmassnahmen sowie eine direkte Kundenbindung in mehrstufigen Ecosystemen aufzubauen:
Beratung und Schaffen von Kundenerlebnissen
Nutzung als digitaler Vertriebskanal
Präventive Wartung von Produkten und Unterhalt von Anlagen
Kampf gegen Piraterie und Fälschungen
Durch das Scannen des QR-Code oder Tappen des NFC-Token kommen die Kundinnen und Kunden und Hersteller über eine Webseite in eine direkte Interaktion. Die Hersteller können zum Beispiel Anwendungsfälle oder Funktionsweisen ihres Produkts präsentieren. Sie können audiovisuelle Instruktionen für die Wartung und Reparatur geben, direkte KI-unterstützte Kundenberatungen liefern oder den DPP als Vertriebskanal für Dienstleistungen oder Ersatzteile nutzen. Die Umsetzung der Kundenerlebnisse sind mannigfaltig.
Je nach Konnektivität der Geräte und Anlagen kann der DPP auch für präventive Wartungs- und Unterhaltsarbeiten genutzt werden. Hierbei werden neben statischen Daten, wie Herkunft der Produktkomponenten oder Anwendungs- und Recyclingbeschreibungen, auch dynamische Daten wie Laufzeiten oder Materialbeanspruchungen im DPP festgehalten, welche als Indikatoren für notwendige Unterhaltsarbeiten genutzt werden können.
Zu guter Letzt unterstützt der DPP bei einem anderen zentralen Problem von globalen Marken: Dem Kampf gegen Fälschungen. Da der DPP jedem Produkt eine eindeutige Kennung gibt, kann diese mit Echtheitszertifikaten verknüpft werden. Kundinnen und Kunden, aber auch Wiederverkäufer und Nachbesitzende können damit die Originalität ihres Produkts überprüfen.
Unsicherheitsfaktor Europäische Kommission
Allerdings bestehen Hürden: Unklare rechtliche Rahmenbedingungen, fehlende Standards und Datenschutzanforderungen erschweren die Umsetzung, insbesondere für KMU. Die Nutzung des DPP für Marketingzwecke ist von der EU-Kommission bislang nicht abschließend geklärt. Dennoch überwiegt das Fazit: Der DPP ist kein Papiertiger, sondern ein zukunftsweisendes Instrument, das – bei gezielter Datenaufbereitung und systematischer Integration – einen neuen Zugang zu Kundinnen und Kunden im digitalen Zeitalter bietet
Der Digitale Produktpass ist ein strategisches und taktisches Instrument für Unternehmen, die ihre glokale Markenführung stärken, die Verbindung zu lokalen Kunden ausbauen und gleichzeitig regulatorische Anforderungen an die Kreislaufwirtschaft erfüllen wollen. Wer frühzeitig handelt, kann Standards mitgestalten, Prozesse optimieren und sich als Vorreiter einer verantwortungsvollen, aber auch profitablen Wirtschaft positionieren.